Die schöne Stumme

Es war einmal ein Mann, der hatte eine wunderschöne Tochter, doch die Tochter war stumm. Alle jungen Männer begehrten das Mädchen, doch der Vater gab niemandem seinen Segen. All seine Bemühungen zielten darauf ab, seine Tochter zum Sprechen zu bringen, doch es gelang ihm nicht.

Verzweifelt und am Ende seiner Mittel versprach der Vater allen jungen Männern, die seine Tochten begehrten, dass derjenige, dem es gelänge sie zu heilen sein Schwiegersohn werden würde.
Unwiderstehlich wie das Mädchen war – wer würde da nicht sein Glück versuchen? Tatsächlich waren es viele, die vergeblich versuchten sie zu heilen. Sie brachten ihr Kleidung, Geld, Geschenke – alles um das Mädchen zu beindrucken, aber niemand schaffte es, sie zum Sprechen zu bringen.

Indessen beobachtete ein armer Dorfbewohner die Misserfolge der Männer und beschloss, dass nun er an der Reihe sei. Er plante jedoch, seine Absicht mit einfachen Mitteln umzusetzen, ohne große Ausgaben, ganz im Gegensatz zu den anderen. So mischte er sich unter sie und fragte:

„Freunde, warum gelingt es euch nicht, dieses bildschöne Mädchen zu erobern?“

„Sie spricht nicht. Ihre Eltern haben die Bedingung gestellt, dass der Erste, der sie zum Sprechen bringt sie heiraten wird, doch das gelingt uns nicht.“

„Reich und mächtig wie ihr seid, schafft ihr so eine einfache Aufgabe nicht? Ich werde es auch versuchen, nur um es euch zu zeigen“, forderte der Arme sie heraus.

„Was sagst du da? Arm und elend wie du bist lohnt es sich nicht, deine wenigen Mittel zu verspielen, denn es wird dir nicht gelingen. Sie wird dich gleich auf den ersten Blick zurückweisen. Aber wenn du unbedingt willst, probier es doch!”, sagten die anderen.

So machte sich der Mann auf den Weg. Als er zu dem Haus des Mädchens kam, wurde er von ihren Eltern empfangen, die ihn fragten, was er wünsche.
Der arme Mann bat darum, mit dem Mädchen sprechen zu dürfen, worauf ihm die Eltern mitteilten, dass sie auf der Machamba, dem Feld sei. So begab sich der Mann also in Begleitung der Hausherren dorthin. Dort angekommen, begann er dem Mädchen zu helfen, die gerade ganz alleine Mapira pflanzte.

Um sie zum Sprechen zu bringen, begann der Arme die Mapira-Pflanzen genau verkehrt herum einzusetzen – mit den Wurzeln nach oben und den Blättern in die Erde.
Als das Mädchen das sah, versuchte sie mit allen Mitteln und Gesten dem Mann zu erklären, wie er die Arbeit zu verrichten habe. Der Mann jedoch pflanzte weiter wie bisher, als habe er die Erklärung nicht verstanden.
Das Mädchen erkannte, dass der Mann dabei war die Pflanzen kaputt zu machen, denn auf diese Weise eingesetzt würden sie nicht überleben. Und so versuchte sie mühsam, Worte zu formen.

Weil der Mann seine Arbeit so beharrlich schlecht machte, zwang sie ihre Kehle so lange, bis ihre Stimmbänder nachgaben und eine Stimme hervorbrachten, zum ersten Mal in ihrem Leben.
Erst mit Worten gelang es ihr, dem Mann zu erklären, wie er die Pflanzen einsetzen müsse.

So hatte es der geächtete Mann zum Erstaunen aller geschafft, das Mädchen zum Sprechen zu bringen. Die Eltern des Mädchens hielten ihr Versprechen, und gaben ihm ihre Tochter zur Frau.

Aus: Domingos do Rosário Artur: Ngano. Contos Populares da Província de Manica. Maputo 2013. Erzählt von: Ndakassi Nhama. Übertragen ins Deutsche: Sophie Lenz 2016.


Illustration: Jorge Mungoi
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